„… oder wartest du schon?“

„… oder wartest du schon?“ Was würden Sie an die Stelle der Pünktchen setzen? Ob Ihnen die Anlehnung an die Werbung eines großen schwedischen Möbelhauses aufgefallen ist? Dort wird ja ein (scheinbarer) Gegensatz konstruiert, dass man ohne Einkauf dort nur „wohnen“ könne, mit der Einrichtung von dort aber „leben“ würde.

Versuchen Sie doch einmal Ihre gegenwärtige Situation zu beschreiben und  sie dann der adventlichen Frage gegenüberzustellen. Wer vor Arbeit nicht zur Ruhe kommt, könnte z.B. sagen: „Rotierst du noch oder wartest du schon?“ Wer sich vor Sorge oder Überdruss nicht mehr aufraffen kann, dagegen: „Schläfst du noch, oder…“ Und für jemanden, für den ein Tag wie der andere ist, könnte die Frage lauten: „Lebst du nur so dahin, oder…“

Das „…oder wartest du schon?“ zielt natürlich auf das in ganz eigener Weise qualifizierte Warten der Vorweihnachtszeit. Weil der zweite Adventssonntag nun auch dem Nikolaus gewidmet ist – über Jahrhunderte an seinem Namenstag DER Geschenkebringer – mag das Warten etwas lockerer gestimmt sein. Doch das bekannte Nikolauslied „Lasst uns froh und munter sein…“ entstand in einer Zeit, wo Kinder in der Schule den Prügelstock oder in der Fabrik 12 Stundentage durchlitten. Es stellte also den Ausbruch aus dem alltäglichen Trott in Aussicht, DAS war der Grund zu Freude – nicht ein „take it easy“ in der Adventszeit!

„…oder wartest du schon?“ führt schnell zu „Wie soll ich denn warten?“ oder besser „Wie soll denn meine Adventszeit aussehen?“ Folgendes erscheint mir sinnvoll, wie es z.B. auch der Adventskalender vom Verein „Andere Zeiten“ seit einigen Jahren immer wieder anregt:

Die kirchliche Tradition hat den Advent ja wie die Passionszeit als Buß- und Fastenzeit mit der liturgischen Farbe Violett gedacht. So wie dort das Staunen und Erschrecken über den von Jesus angenommenen Kreuzestod und die von Gott geschenkte Auferstehung die Frage unabweisbar machten: „Wenn das für mich geschehen ist – wie verhalte ich mich dazu?“ geht es hier um die Menschwerdung Gottes in Jesu Geburt, die mich nicht unverändert lassen wird. Sich darauf einzustellen kostet Mut, Kraft und Zeit. Ob es vier Wochen sein müssen, weiß ich nicht – aber notwendig ist es. Oster- und Weihnachtsfreude aus dem vollen Konsumrausch heraus haben zu wollen, kann nicht gelingen, auch wenn uns Regale voller Osterhasen bereits im Februar sowie Lebkuchen und Weihnachtsmänner  schon im September  das Gegenteil glauben machen wollen.

Vielleicht haben Sie diesmal einen Adventskalender selbst gestaltet, statt einen großen Karton mit 24 Tee- oder Biersorten oder 24 Playmobilfiguren zu KAUFEN? (Es gibt da ja tatsächlich schöne Sachen – aber trifft das Einkaufen materieller Werte und das Warten auf das nächste Spielzeug oder die nächste Geschmacksnuance wirklich den Sinn von Advent?)

Vielleicht sind in diesen von Corona überlagerten Adventswochen auch Ihre Antennen mehr auf Empfang geschaltet und Sie merken, was wegbleiben kann, ohne dass unser Leben darunter leidet? „Die Kunst besteht im Weglassen!“ – das gilt auch hier. Mache Sie sich frei von mitgeschlepptem Ballast!

Jesus, der seine Zeitgenossen als „Mühselige und Beladene“ anspricht (damals dürften es die vielen religiösen Vorschriften und die römische Besatzung gewesen sein), kündigt den Menschen durchaus heftige Umbrüche an. Doch muss das nicht zur Verzweiflung führen: „Dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ (Lk. 21,28). Gott will uns auch und gerade in Krisen nahekommen – dem nachzuspüren wäre adventlich, erst recht im Corona-Jahr 2020.

Ihr Pastor Ulrich Palmer

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